Hypnagogia

Hypnagogie, dieser faszinierende Zustand zwischen Wachen und Schlafen, öffnet die Tür zu einer Welt, in der die Grenzen zwischen Realität und Traum verschwimmen. Hier, in diesem geheimnisvollen Raum des Bewusstseins, übernimmt die Vorstellungskraft die Kontrolle und entführt uns in unerforschte Bereiche des Denkens. Es ist der Ort, an dem das Alltägliche mit dem Unerklärlichen kollidiert und uns zwingt, temporär eine neue Realität zu akzeptieren. In diesem Editorial sind wir Betrachter und Wanderer zwischen den Welten, die die Linien zwischen dem Bekannten und dem Unerforschten ausloten.

Projekt
LADYGUNN Magazine

Ort
Neuss, Deutschland

Kategorie
Fashion

Datum
08.09.2023

Behind the Photos von Hypnagogia

Ich erinnere mich sehr gerne an dieses Shooting zum Thema Hypnagogie zurück. Es war das letzte Shooting, das ich in meinem Studio in Neuss umgesetzt habe, bevor ich es Anfang desselben Jahres, in dem diese Strecke veröffentlicht wurde, kündigte und vollständig nach Köln zog.

Ironischerweise war auch bei diesem Shooting Tu Anh die Stylistin – genau wie bei meinen ersten Editorials im Neusser Studio. Es fühlt sich an, als würde sich ein Kreis schließen. Mit Tu Anh arbeite ich besonders gern bei kreativeren Shootings zusammen. Für mich ist sie die perfekte Besetzung, weil sie meine Konzepte und Ideen nicht nur versteht, sondern auf eine Weise interpretiert, die ich sehr schätze. Ich hoffe, dass wir irgendwann einmal gemeinsam nach New York reisen, um dort zu shooten. Die Showrooms in New York bieten eine beeindruckende Auswahl an großartigen Designstücken. Jedes Mal, wenn ich etwas für meine Shootings ausleihe, muss ich an Tu Anh denken. Sie hätte dort sicherlich sehr, sehr viel Spaß und Freude!

Auch bei diesem Projekt war mein Ziel, etwas besonders Kreatives umzusetzen. Ich wollte zudem mit Adobe Photoshop experimentieren. Im Nachhinein denke ich, dass ich noch mutiger hätte experimentieren können – aber man ist ja im Rückblick oft schlauer.

Das Spannendste an dieser Strecke ist für mich, dass sie ursprünglich ganz anders geplant war. Der Projektname lautete zunächst „A Fiction in Black and White“ – ein Titel, den ich durch einen Kommentar auf Quora entdeckt hatte. Das dazugehörige Moodboard war experimenteller, und auch die Story sollte komplexer sein. Die fertigen Bilder sollten dem ursprünglichen Titel gerecht werden und komplett in Schwarz-Weiß gehalten sein.

Während des finalen Editings habe ich jedoch festgestellt, dass die Bilder in Farbe wesentlich stärker wirken. Das führte zu einer kompletten Planänderung: Der Titel wurde angepasst und eine völlig neue Geschichte entwickelt. So wurde aus „A Fiction in Black and White“ die Erzählung über den Zustand zwischen Wachen und Schlafen.

Da beim Shooting noch nicht klar war, dass die gesamte Strecke komplett neu geplant würde, habe ich zunächst wie ursprünglich nach der Idee von „A Fiction in Black and White“ geshootet. Mein Hauptgedanke war, wie die verwendeten Farbfolien in Schwarzweiß wirken könnten. Außerdem wollte ich – wie bereits im Intro erwähnt – experimenteller mit Adobe Photoshop arbeiten.

Für das Outfit von Emily Fuhrmann entschied ich mich, braune und blaue Farbfolien als Hintergrundfarben zu verwenden. Die braune Farbfolie gehört meiner Meinung nach zu den „magischen“ Folien, da sie den Bildern eine völlig unerwartete Wirkung verleiht – im Gegensatz zu den gängigen Farbfolien. Das liegt vermutlich daran, dass braunes Licht selten sichtbar ist und häufig mit etwas Schmutzigem assoziiert wird. Durch das Colorgrading wurde der braune Ton in ein warmes Orange umgewandelt, aber dieser spezifische Farbton wäre ohne die braune Farbfolie nicht entstanden.

Das Outfit selbst erinnerte mich an Knochen. Die Tüll-Elemente habe ich anfangs gar nicht wahrgenommen, da das weiße Hauptelement meine volle Aufmerksamkeit auf sich zog. In der Nachbearbeitung wollte ich eine visuelle Wirkung erzeugen, die an eine Aura oder Seele erinnert. Das passte perfekt zur ursprünglichen Story, die sich mit der Frage auseinandersetzte, ob unsere Realität tatsächlich der Wahrheit entspricht oder ob sie nur eine Illusion ist, die unsere Naivität ausnutzt. Für viele Menschen beschränkt sich die Wahrheit auf das Spektrum dessen, was ihnen früh indoktriniert wurde.

Aus meinen Erfahrungen weiß ich, dass etwa die Hälfte der Menschen, mit denen ich über spirituelle Themen gesprochen habe, die Seele entweder als etwas Fiktives oder rein Spirituelles betrachten, da sie wissenschaftlich nicht messbar ist. Für diese Menschen ist die Seele oft wie eine Religion: Sie zweifeln nicht daran, und das ist ihr gutes Recht. Hier sollte das Editing verdeutlichen, dass die Wahrheit oft nicht so offensichtlich ist, wie man sie gerne wahrhaben möchte. Es gibt immer Aspekte, die – zumindest zu diesem Zeitpunkt – noch nicht greifbar sind.

Beim Headpiece von LeSophie brachte Miriam – eine wunderbare Hair-&-Make-up-Artistin – die Idee ein, die Wimpern in Blau zu gestalten. Diese Idee setzten wir um, auch wenn der Effekt unter normalen Lichtbedingungen noch stärker herausgekommen wäre. Warum blaue Wimpern? Dieses Projekt folgte bewusst keinem starren Stilkonzept. Jeder im Team sollte die Freiheit haben, sich kreativ auszutoben – eine Möglichkeit, die bei Editorials selten geboten wird.

Das zentrale Thema war Wahrheit. Die Bilder sollten metaphorisch zeigen, dass Wahrheit oft aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden muss, um ein vollständiges Bild zu erkennen. Diese Blickwinkel verschwimmen jedoch häufig, bevor sie sich zu einem Teil der Wahrheit fügen. Wie man so schön sagt: Jede Wahrheit hat zwei Seiten – in diesem Fall hatte sie sogar drei.

Das Bild mit dem Mantel von Sadi George Sade und dem Rock von Polina ist mein persönlicher Favorit dieser Strecke. Ich liebe, wie das Outfit allmählich mit dem Hintergrund zu verschmelzen scheint. Diesen Effekt hätte ich am liebsten in jedem Bild angewendet, aber das wäre letztlich zu einem massiven Overkill geworden.

Beim Shooting hatte ich noch keine genaue Vorstellung davon, was ich später in Photoshop umsetzen würde. Sicher war ich mir jedoch, dass ich eine blaue und eine magentafarbene Farbfolie verwenden wollte. Für mich erzeugt die Kombination dieser beiden Farben immer eine traumähnliche Stimmung. Da das Outfit bereits stark magenta-lastig war, wollte ich die Farbfolie harmonisch darauf abstimmen.

Während der Bearbeitung ließ ich mich vom Thema Visionen inspirieren. Manche Menschen erleben durch Träume Vorahnungen – ein faszinierender Gedanke, der die Grundlage für den verwischten Effekt bildete. Dieser sollte die nebelartige, manchmal diffuse Qualität von Träumen symbolisieren. Visionen und Träume sind oft etwas, das schwer erklärbar ist, besonders wenn sie plötzlich Realität werden.

Der stufenlose Übergang von Louis (so heißt das Model) in den Hintergrund wurde bewusst gewählt, um genau diese Unerklärbarkeit darzustellen. Es spiegelt die Art wider, wie Träume und Visionen häufig in einem Zwischenraum zwischen Realität und Imagination existieren – flüchtig, schwer zu greifen, und doch intensiv in ihrer Wirkung.

Beim Outfit mit dem Top von Non Sen Se begeisterten mich besonders die feinen Details. Im Gegensatz zum vorherigen Look wollte ich hier eine gegensätzliche Wirkung zwischen dem Outfit und dem Hintergrund erzielen, weshalb ich eine türkis-/cyanfarbene Hintergrundfarbe wählte. Miriam, unsere fantastische Hair-&-Make-up-Artistin, brachte die brillante Idee ein, eine filigrane Verschnörkelung am Auge zu gestalten. In der Nachbearbeitung legte ich besonderen Fokus darauf, diesen Effekt noch stärker hervorzuheben.

Für dieses Bild habe ich nachträglich einen sogenannten Glasfilter hinzugefügt. Zu jener Zeit stieß ich auf Instagram auf mehrere Werbeanzeigen, die diesen Effekt verwendeten, und ich war sofort fasziniert davon. Der Glasfilter sollte eine symbolische Botschaft vermitteln: Wahrheit kann manchmal wie Glas sein – auf den ersten Blick offensichtlich, doch zugleich zerbrechlich.

Was ich besonders cool am Outfit von Angelos Giannoulis fand, war die Verarbeitung der Schuhe. Das gesamte Outfit strahlt einen Avantgarde-Charakter aus, und ich wünschte, ich könnte die gesamte Kollektion und die dahinterliegende Idee kennen, um mehr darüber erzählen zu können.

Wovon ich jedoch mehr erzählen kann, ist die Gestaltung des Bildes. Für diesen Look wollte ich einen warmen Hintergrund schaffen, aber keinen roten. Es sollte eine gefährlichere, femme-fatale-ähnliche Wirkung erzielen. Die Idee von Miriam, die Lippen leicht verschmiert zu schminken, passte perfekt zu diesem Konzept. Das Bild sollte etwas Vertrautes, aber zugleich auch etwas Fiktives ausstrahlen – etwas, das sich der Realität annähert, sie aber nicht vollständig abbildet.

Deshalb habe ich hier den sogenannten 3D-Effekt eingesetzt. Dafür wird ein Bild in drei Varianten aufgeteilt: eine komplett in Cyan, eine in Rot und eine normale Version. Diese Bilder werden dann leicht versetzt übereinandergelegt, wodurch der Effekt entsteht. Es war eine subtile Anspielung auf Augmented Reality – eine erweiterte, virtuelle Realität.

Der Look von Fabiana Amaya verfolgte eine ähnliche Idee, indem er mit einer alternativen Realität spielte. Durch den allgemeinen Zugang zu sozialen Medien erleben wir heutzutage eine widersprüchliche Situation. Wir leben in einer Zeit, in der Diskussionen zunehmend erschwert werden, weil wir von Nachrichten regelrecht überflutet werden. Für viele Menschen ist es aufgrund der Alltagsüberlastung kaum noch möglich, sich eine differenzierte Meinung über das Weltgeschehen zu bilden. Es ist wie beim Betrachten von Kunst: Die meisten wählen den einfachsten und angenehmsten Weg, um etwas zu interpretieren.

Mit der Bearbeitung dieses Looks wollte ich symbolisieren, dass die Realität aus vielen kleinen Bausteinen besteht. Doch einzeln betrachtet „verpixeln“ diese Bausteine das große Ganze. Meistens sehen wir nur eine große, leicht verdauliche Fläche, die einfacher zu akzeptieren ist – und ignorieren dabei die komplexeren Details im Hintergrund.

Im Januar 2024 lernte ich den Designer hinter ARC22.8 kennen. Der Anlass war, dass Siri, mittlerweile eine sehr gute Freundin von mir, zum Berliner Salon eingeladen wurde und dort zwei ihrer Designstücke ausstellen durfte. Würde ich in Berlin leben, würden wir uns vermutlich oft über den Weg laufen – schon allein, weil ich seine Stücke spontan für Shootings vorschlagen würde. Obwohl ich selbst kein Designer bin und viele Fachbegriffe nicht kenne, liebe ich seine – und ich hoffe, er hasst mich dafür nicht – „zusammengezupfte“ Technik.

Für diesen Look wollte ich erneut Träume darstellen, dieses Mal jedoch kälter und dunkler. Die Funken im Bild stammen von Texturen von Glasreflexionen und sollen symbolisieren, dass Schatten ohne Licht nicht existieren kann – und umgekehrt. Diese Metaphorik zog sich auch durch das Hintergrunddesign: Die fast weiße Fläche, die nach außen hin ins Dunkle übergeht, spiegelt diese Dualität wider. Die nachträglich hinzugefügte Vignette sollte den Fokus auf das Wesentliche lenken: die Realität.

Wie man sehen kann, basierten alle Bilder bis zur finalen Bearbeitung auf der ursprünglichen Idee von „A Fiction in Black and White“. Ich bin mir sicher, dass ich diese Story irgendwann in der Zukunft erneut umsetzen werde, denn der Titel gefällt mir nach wie vor extrem gut. Vielleicht liegt im Wechsel zur neuen Geschichte sogar eine gewisse Selbstironie: Wir erschaffen alternative Realitäten, weil es uns leichter fällt, mit ihnen umzugehen.

Wie dem auch sei, es kommt selten vor, dass ich eine Story inklusive Titel nachträglich ändere. Doch in diesem Fall hätte die ursprüngliche Grundidee die gesamte Strecke sabotiert. Ich denke, die Umgestaltung war im Nachhinein die bessere Entscheidung.

Der neue Titel entstand erst nach mehreren Tagen Recherche. Nach viel Frustration stieß ich zufällig auf den Begriff Hypnagogie und fand den entsprechenden Wikipedia-Eintrag äußerst faszinierend. Am Ende entschied ich mich für diesen Titel, da die Bilder insgesamt eine sehr traumhafte Wirkung haben – passend zum Konzept des halbbewussten Zustands zwischen Wachen und Schlafen.

Galerie zu Hypnagogia

Team hinter Hypnagogia

Art Director, Fotograf & Retoucher: Levin Lee
Model: Louis Jerrisen von Universe Scout Street Hunting
Fashion Stylist: Tu Anh Nguyen
Hair & Makeup Artist: Miriam Kristal von Maison Musitowski
Fotografie Assistenz: Victoria Li

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