Bevor die Ideen und das Konzept für ein Thema zum Minimalismus Gestalt annahmen, hatte mich Lina bereits Monate zuvor kontaktiert. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch kein Profil auf Models.com, kannte jedoch die Anforderungen, die man erfüllen musste, um ein Profil zu bekommen: Neben einer bestimmten Anzahl an Arbeiten muss man auch mit einer Mindestanzahl an weiteren Personen zusammengearbeitet haben, die dort vertreten sind.
Lina hatte bereits ein Profil auf der Plattform, was für mich die Möglichkeit einer Zusammenarbeit deutlich interessanter machte. Als ich dann auch noch sah, dass sie schon für Giorgio Armani gelaufen war, war mir klar: Mit ihr muss ich zusammenarbeiten.
Ich tue mich oft schwer mit der Zusammenarbeit mit Models, die mich zuerst kontaktieren. Der Grund dafür ist, dass ich schwer abschätzen kann, wie erfahren und professionell sie wirklich sind. Ein Profil auf Models.com ist natürlich keine Garantie für Professionalität, bietet jedoch deutlich mehr Sicherheit als eines ohne. Ausschlaggebender sind zwar immer die Erfahrungen eines Models, doch die wichtigsten Arbeiten finden sich meist bereits auf der Plattform.
Trotzdem fehlte das Entscheidende: das Konzept! Ich gehöre zu den Menschen, die ein Konzept vollständig um das Model herum entwickeln. Die Story entsteht aus der von mir wahrgenommenen Ästhetik des Models. Daher sind für mich vor allem professionelle Bilder wichtiger als private Momente auf einem Instagram-Profil. Denn eines ist klar: Es gibt Menschen, die im professionellen Setting ganz anders wirken als in privaten Momenten.
Es dauerte einige Monate, bis eine grundlegende Idee für die Strecke Form annahm. Für „Brutal Minimalism“ hatte ich Bilder aus einem Moodboard einer anderen Idee herausgenommen. Ich lasse mich gerne von anderen Arbeiten inspirieren. Einige Fotos aus der Strecke „But not tonight“ des Stylisten Dennis Schneider hatte ich bereits in meinem Moodboard. Ich schätze generell den minimalistischen Ansatz im Styling von Dennis Schneider, aber in dieser Strecke sprach mich vor allem die gesamte Stimmung an. Minimalismus kann auch in der Stimmung einer Strecke spürbar werden – nicht nur in den Looks.
Und wie es das Schicksal wollte, kam mir die Idee in einer eher unerwarteten Situation. Nachts, während eines kurzen Gassigang auf dem Weg in einen Park, kam die Idee, als ich meinen schwarzen Shiba Inu Kaito ansah. Plötzlich hatte ich die Eingebung: Warum nicht eine Strecke konzipieren, die komplett minimalistisch ist? Keine aufwendigen Looks, sondern einfach ganz simple, fast brutale Reduktion. So entstand der Name „Brutal Minimalism“ – der Minimalismus als Konzept wurde für mich zur Essenz der gesamten Idee.
Glücklicherweise hatte Lina mich nur wenige Tage zuvor nochmals kontaktiert, um sich nochmal aktiv ins Gespräch zu bringen. Solche Nachfragen können mitunter hartnäckig wirken, doch in diesem Fall war es eine willkommene Erinnerung, da es tatsächlich passieren kann, dass man vielversprechende Möglichkeiten aus den Augen verliert.
Nach dem Spaziergang besprach ich mit meiner Schwester, ob Lina zu 100% zu diesem Konzept passen würde. Wir diskutieren oft unsere Ideen und waren uns sofort einig, dass Lina das ideale Model für diese Strecke ist. Es war ihre ruhige, gleichzeitig sehr zurückhaltende und doch bestimmte Ausstrahlung, die mich überzeugte. Besonders mochte ich ihr elegantes, aber zurückhaltendes Posing in ihrem Instagram-Feed, was zur meiner Vorstellung von Minimalismus sehr passte.
Zwei Wochen zuvor hatten wir das Neptunian Lady-Editorial geshootet – ein Editorial, das vor allem eines war: Layering pur. Der Wechsel zu etwas komplett Reduziertem fühlte sich daher wie eine natürliche Weiterentwicklung an. Die Zusammenstellung der Looks für dieses Editorial, welches in der Printausgabe von Marie Claire Serbia im Juli erschienen ist, nahm allerdings mehr Zeit in Anspruch, als ich erwartet hatte. Minimalistische, aber zugleich interessante Stücke zu finden, stellte sich als überraschend schwierig heraus. Gergana und ich hatten uns für das Styling dieses Shootings zusammengetan, doch auch zu zweit stießen wir immer wieder auf Herausforderungen, die richtigen Teile zu finden.
Eines der Key-Pieces für mich war das rote Oberteil von Jacquemus. Generell begeistert mich die Marke oft durch ihre kreative Schlichtheit. An diesem Oberteil faszinierte mich besonders die diagonale Öffnung, die dem simplen Design eine spannende Dynamik verlieh. Da ich ein großer Fan von „One Brand“-Looks bin (so nenne ich immer die Looks, die fast aus einer Marke bestehen), entschied ich mich, es mit einem Rock derselben Marke zu kombinieren – eine Wahl, die perfekt funktionierte und nicht das Thema Minimalismus sabortierte.
Beim Outfit mit dem Prada-Kleid war ich anfangs unsicher, ob es vielleicht zu simpel sein könnte. Bei einem Editorial ist es die Kunst, das Offensichtliche in etwas Künstlerisches umzuwandeln. Doch als Lina begann, mit dem Kleid zu posen, waren alle Bedenken sofort vergessen. Sie brachte die Schlichtheit des Stücks auf ein ganz neues Niveau, und das Ergebnis war für mich das Highlight der gesamten Strecke. Auch ist dies mein Lieblingsbild aus der gesamten Strecke.
Was mich besonders begeistert, ist, wie sich meine wahrgenommene Linas Ausstrahlung aus ihrem Feed nahtlos ins Shooting übertragen hat: Ihre ruhige, zurückhaltende Präsenz, kombiniert mit ihrem eleganten Posing, unterstrich die schlichte Ästhetik des Kleides perfekt und machte das Ergebnis dadurch so stimmig.
Das komplett weiße Outfit war tatsächlich der erste Look, welches wir geshootet haben. Ich erinnere mich noch gut an einen Moment, der für mein Styling prägend war: Siri, inzwischen eine sehr gute Freundin von mir, hatte bei einem anderen Shooting mein Styling kritisch hinterfragt. Ich schätze ihre ehrliche, aber respektvolle Art der Kritik sehr, da ich ihrer Expertise vollkommen vertraue und ihr Feedback mich oft weiterbringt.
Auch bei diesem Look äußerte sie Bedenken: Sie hatte angemerkt, dass die Weißtöne der einzelnen Teile zu unterschiedlich seien – ein Punkt, bei dem sie recht hatte. Durch sorgfältiges Color-Matching in der Post-Production konnte ich jedoch die Weißtöne angleichen, sodass diese Unterschiede im finalen Retouch nicht mehr sichtbar waren. Der Bodysuit von Zimmermann hatte von allen drei Teilen den reinsten Weißton, den ich nachträglich leicht abdunkelte, um ihn an das Nanushka-Kleid anzupassen, das als Basiston diente. Der Rock von Moncler war nicht wirklich rosa, hatte aber einen minimalen Rotstich, der nur im Vergleich mit den anderen Teilen auffiel.
Für mich sollte dieses Outfit die Essenz des Minimalismus in seiner reinsten Form darstellen – eine gewisse Ironie, wenn man bedenkt, dass es aus mehreren Einzelteilen bestand und nicht nur einem einzigen Stück. Doch genau darin liegt der Reiz des Minimalismus: Durch die Reduktion auf das Wesentliche entsteht ein harmonisches Gesamtbild, das die Schlichtheit und Eleganz des Styles unterstreicht.
Beim Look mit dem Isabel Marant-Top hatte ich zunächst Schwierigkeiten, eine passende High-Waist-Unterhose zu finden. Ich suchte etwas, das genau meinen Vorstellungen entsprach, was sich jedoch als unerwartet schwierig erwies. Im Düsseldorfer Galeria Kaufhof fanden wir eine Option, die aber nicht überzeugte. Auch im Esprit-Store entdeckten wir ein Stück, das meinen Vorstellungen nahekam, doch letztlich ließ ich es liegen, da es ebenfalls nicht perfekt passte.
Glücklicherweise brachte Lina an diesem Tag zufällig die perfekte Unterhose von Hanro mit. Wenn ich mich richtig erinnere, hatten wir das zuvor nicht einmal besprochen. Es war eine glückliche Fügung, dass am Ende alles so stimmig zusammenkam – ein weiterer Beweis, wie im Minimalismus oft auch das Unerwartete seinen Platz findet.
Wenn ich mich richtig erinnere, war ursprünglich geplant, das Outfit mit dem Loewe-Top draußen zu shooten. Aber Spoiler: Es hat nicht funktioniert. Das Shooting in einer Außenkulisse hätte dem Konzept des Minimalismus widersprochen, da die Szenerie plötzlich eine Unruhe hineingebracht hätte, die wir eigentlich vermeiden wollten. Nach ein paar Testaufnahmen draußen entschieden wir uns schließlich, wieder ins Studio zurückzukehren.
Ein spannendes Detail an diesem Outfit ist der „Rock“ von Emporio Armani – eigentlich ein Schal, der durch kreatives Styling in einen Rock umgewandelt wurde. Für mich macht das die Stärke des Stylings aus: keine Grenzen, nur Möglichkeiten. Besonders fasziniert mich an dem finalen Bild der Schatten der beiden Hände. Diese zerbrechliche Melancholie, die der Schatten erzeugt, verleiht dem Bild eine tiefere emotionale Ebene. Es wirkt, als würde Lina sich an einen vergänglichen Moment erinnern, der zeigt, wie kurz und flüchtig Augenblicke sein können – ganz im Sinne des Minimalismus, der das Wesentliche in den Vordergrund stellt.
Beim Max Mara-Blazer hatten wir ursprünglich einen ganz anderen Haarlook geplant. Obwohl er durchaus spannend war, empfand ich ihn im Vergleich zu den anderen Looks als zu überladen. Nachdem wir den gesamten Look durchgeshootet hatten, fragte ich Alyssa und Alexandra, ob sie den Haarstyle nochmals überarbeiten könnten – diesmal viel reduzierter, um die Ästhetik des Minimalismus im Editorial konsequent fortzuführen. Das Ergebnis wurde dann im quasi letzten Look eingefangen und passte perfekt zur Story.
Jetzt, wo ich über Alyssa und Alexandra nachdenke, wird mir bewusst, dass diese Strecke unser erstes gemeinsames Projekt war. Alyssa hatte sich spontan auf einen meiner Aufrufe gemeldet, in dem ich nach einer Hair & Makeup Artist suchte. Nachdem ich ihr das Moodboard vorgestellt hatte und sie zusagte, brachte sie Alexandra direkt mit ins Team.
Ich erinnere mich gerne an erste Begegnungen mit Menschen zurück, und Alyssas natürliche, aber zugleich sehr charismatische Ausstrahlung ist mir besonders im Gedächtnis geblieben. Natürlich lernt man sich am Set nicht tiefgehend kennen, aber es reicht aus, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen – und dieser war bei ihr durchweg positiv.
Aufgrund meiner chinesischen Herkunft und Erziehung (wobei man das bei einem so großen Land wie China kaum verallgemeinern kann), fiel es mir früher schwer, Kritik oder Änderungswünsche direkt anzusprechen. Umso erleichterter war ich, als ich mein Unbehagen über das Haarstyling des vorherigen Looks äußerte und Alyssa unglaublich verständnisvoll und freundlich darauf reagierte.
Im Vergleich wirkte Alexandra zunächst etwas strenger, obwohl sie das definitiv nicht war. Wäre mir nicht klar gewesen, dass sie nicht aus dem Kölner Raum kommt, hätte ich sie wahrscheinlich gefragt, in welchem Stadtteil sie lebt. Ihre offene, sympathische Art erinnerte mich stark an die herzliche Mentalität, die man hier in Köln oft findet – mal abgesehen vom typischen Dialekt, den wir wirklich haben.
Nun zurück zum Shooting: Das Unterhemd von Jean Paul Gaultier war eines meiner absoluten Lieblingsstücke und zählte ebenfalls zu den Key-Pieces. Die Knöpfe waren schlicht genial, da sie das Konzept eines klassischen Unterhemds aufbrachen und dennoch dessen Kernidee beibehielten – ein cleverer Twist, den ich auch beim roten Jacquemus-Oberteil so mochte. Dieser clevere Ansatz entsprach ganz der Idee des Minimalismus, bei dem es darum geht, durch einfache Formen und Details ein starkes Statement zu setzen.
Immer wieder fragen mich frisch gestartete Models, woran ich erkenne, ob jemand erfahren ist. Meine Antwort bleibt immer die gleiche: Ein erfahrenes Model arbeitet mit seiner Umgebung. Genau das zeigte sich hier. Warum nicht auf einem Tisch liegen? Unerfahrene Models neigen oft dazu, Objekte nur in ihrer vorgesehenen Funktion zu nutzen, während erfahrene Models keine Scheu haben, solche Grenzen zu überschreiten.
In diesem Shooting wurde nahezu ausschließlich mit natürlichem Licht gearbeitet. Lediglich beim Outfit mit dem Nanushka-Hemd kam eine zusätzliche Dauerlichtquelle zum Einsatz, da der Flur schlicht zu dunkel war. Auch wenn man es auf den Bildern nicht sofort erkennt, war das Tank Top von coperni ein besonderer Bestandteil des Stylings. Sein tiefer Schnitt eignete sich perfekt für das minimalistische Layering, das wir einbinden wollten. Warum wir uns für diese Location entschieden haben, hatte keinen tiefergehenden Grund – wir wollten uns visuell nicht wiederholen, und der Flur war die letzte Ergänzung, die dem Set noch fehlte.
Die Entscheidung, primär mit natürlichem Licht zu arbeiten, war keine Zufälligkeit. Es passt perfekt zur minimalistischen Ästhetik, die wir anstreben wollten. Und was könnte in der Fotografie minimaler sein als das pure Tageslicht? Eine künstliche Lichtquelle hätte, ähnlich wie die Überlegung, draußen zu shooten, den Grundgedanken des Minimalismus unterlaufen. Die Schlichtheit und Authentizität, die wir suchten, wäre damit verloren gegangen. In jedem Schritt und bei jeder Entscheidung war der Minimalismus unser zentraler Leitfaden.
Es war eine Herausforderung, so viele unterschiedliche Looks zu kreieren, die trotzdem dem Konzept Minimalismus treu bleiben sollten. Gergana und ich waren umso erleichterter, als wir den Blazer von Blumarine und die kreativ geschnittene Hose von Acne Studios fanden. Acne Studios beeindruckt immer wieder mit innovativen Designs, die perfekt für dieses Shooting waren. Der Look sollte eigentlich den Abschluss der Strecke bilden, bis wir uns dazu entschieden, den dritten Look erneut zu shooten.
Nach dem Shooting, als Lina, Alyssa und Alexandra bereits gegangen waren, nahmen Gergana, Victoria und ich uns noch Zeit für einen kleinen Rückblick. Ich genieße diese Momente besonders, wenn sie sich ergeben, da sie Gelegenheit bieten, über den Tag zu reflektieren und die nächsten Projekte zu besprechen. Es war ein schöner Abschluss, um die Erlebnisse des Tages gemeinsam ausklingen zu lassen.